Die Bedeutung von Know Your Supplier in der Textilindustrie

5 min Lesezeit
31.10.2023 16:34:12

Die Bedeutung von Know Your Supplier (KYS) in der Textilindustrie

Bei “Know Your Supplier” (KYS) handelt es sich um einen wichtigen Compliance Prozess zur Sicherstellung einer nachhaltigen Produktion. Der Hersteller ist aufgefordert, so viele Informationen über Zulieferer und Geschäftspartner wie möglich zu sammeln. Nur auf einer solchen Basis kann er diesem Konzept zufolge wirklich fundierte Entscheidungen für eine Zusammenarbeit mit seinen Zulieferern treffen. Das Rana Plaza in Bangladesch ist ein trauriges Beispiel dafür, wohin es führen kann, wenn KYS vernachlässigt wird.

Rana Plaza: Ein Überblick

Rana Plaza war ein achtstöckiger Fabrikkomplex nahe der bangladeschischen Hauptstadt Dhaka. Am 24. April 2013 stürzte das Gebäude ein, wobei 1’138 Menschen starben und über 2’000 verletzt wurden. Es gilt als eines der schlimmsten nicht durch Krieg oder Naturkatastrophen verursachten Unglücke in jüngerer Zeit. Eine Kombination aus menschlichem Versagen und Ignoranz führte zum Einsturz.

Beteiligte Firmen und Missstände

In Rana Plaza waren fünf Textilfabriken ansässig, die für international bekannte Unternehmen produzierten. Trotz bekannter Mängel liessen viele dieser Unternehmen ihre Kleidung weiterhin dort herstellen. Bei den Aufräumarbeiten wurde entdeckt, dass mehr Unternehmen als zunächst angenommen Beziehungen zu Rana Plaza hatten. Einige dieser Firmen wurden durch in den Trümmern gefundene Kleidungsstücke, Bestellscheine und Labels identifiziert. Dies wirft ernste Fragen hinsichtlich der Verantwortung und Sorgfaltspflicht internationaler Unternehmen auf.

Die Identifizierung von Opfern gestaltete sich als herausfordernd, da viele keine Papiere hatten oder diese in den Trümmern verloren gingen. Die Entschädigungsregelung war problematisch: Nur wer den Tod eines Angehörigen nachweisen konnte, erhielt Unterstützung. Letztlich wurden 30 Millionen US-Dollar für Entschädigungen bereitgestellt.

Arbeitsbedingungen und Löhne

Faire Produktion bedeutet weit mehr als nur eine nachhaltige Rohstoffbeschaffung. Sie muss ebenso angemessene Löhne und annehmbare Arbeitsbedingungen sicherstellen. In Rana Plaza waren jedoch beide Aspekte unzureichend. Die meisten Arbeiter verdienten weniger als CHF 60 im Monat, und das in einem Umfeld, das von unsicheren und gesundheitsschädlichen Bedingungen geprägt war. Diese unsicheren Bedingungen, darunter mangelnder Brandschutz, fehlende Sicherheitstrainings und überfüllte Werkstätten, trugen wesentlich zur Tragödie bei. Auch nach dem verheerenden Einsturz blieben die Löhne niedrig und oft unter dem Existenzminimum. Die realen Lebensumstände vieler Textilarbeiter in Bangladesch sind also nach wie vor prekär.

Ein angemessener Lohn ist nicht nur ethisch unerlässlich, sondern auch entscheidend für die wirtschaftliche und soziale Stabilität der Region. Dennoch zeigt sich, dass selbst neun Jahre nach dem Unglück der monatliche Mindestlohn bei lediglich umgerechnet CHF 85 lag. Um die durchschnittlichen Lebenshaltungskosten in Bangladesch abzudecken, müsste ein Arbeiter jedoch mindestens CHF 210 pro Monat verdienen. Das bedeutet, dass trotz internationaler Aufmerksamkeit und Druck, die Entlohnung und Arbeitsbedingungen der Beschäftigten nur marginal verbessert wurden.

Juristische Aufarbeitung

Juristisch abgeschlossen ist der Fall noch lange nicht. Insgesamt wurden 42 Personen wegen Mordes angeklagt. Darunter befand sich auch der Eigentümer des Gebäudes Sohel Rana. Viele halten ihn für den Hauptverantwortlichen. Die Prozesse waren fast fünf Jahre unterbrochen, wurden jedoch im Frühjahr 2022 wieder aufgenommen.

Folgen der Katastrophe in Bangladesch

Das Rana Plaza-Unglück lenkte die globale Aufmerksamkeit auf langjährige Probleme in Bangladeschs Textilindustrie. NGOs hatten bereits auf Sicherheitsmängel hingewiesen, die zwischen 1990 und 2013 zu Tausenden von Todesfällen und Verletzungen führten. Das Unglück löste eine weltweite Debatte aus, die zu verbesserten Standards führte. Mit Unterstützung der Internationalen Arbeitsorganisation (ILO) initiierte die bangladeschische Regierung Inspektionen, welche in der Schliessung unsicherer Fabriken resultieren. Trotz Verbesserungen bleiben jedoch Bedenken hinsichtlich der Arbeitsbedingungen bestehen.

 

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Know Your Supplier (KYS): Darum geht’s

KYS umfasst die Prüfung von Produktionsstandards und die rechtzeitige Erkennung von Verstössen. Diese Standards beinhalten Umweltverträglichkeit, Entlohnung, Menschenrechte sowie Arbeits- und Gesundheitsschutz. Ebenso wichtig ist die Überprüfung der geschäftlichen Integrität der Lieferanten, um sicherzustellen, dass diese nicht in illegale Geschäftspraktiken wie Geldwäsche, Betrug oder Korruption verwickelt sind. Insbesondere für Industrie- und Handelsunternehmen, die Rohstoffe und Produkte aus dem Ausland importieren, ist KYS von hoher Relevanz. Es ermöglicht diesen Unternehmen, sich vor Vorwürfen zu schützen, gegen rechtskonforme Arbeitsbedingungen oder Menschenrechtsverletzungen zu verstossen. 

In der jüngsten Zeit haben die Gesetzgeber verstärkt Massnahmen ergriffen, um die Menschenrechte in globalen Lieferketten zu stärken, wobei das Lieferkettensorgfaltspflichtengesetz (LkSG) der deutschen Bundesregierung ein deutliches Beispiel darstellt. Dieses Gesetz betrifft Unternehmen mit Sitz in Deutschland und mehr als 3.000 Mitarbeitern ab dem Jahr 2023 bzw. mehr als 1.000 Mitarbeitern ab 2024. Betroffene Unternehmen sind verpflichtet, verschiedene Sorgfaltspflichten zu erfüllen und müssen:

  • regelmässige Risikoanalysen durchführen.
  • eine Grundsatzerklärung zur Menschenrechtsstrategie verfassen.
  • ein Risikomanagement mit klaren Verantwortlichkeiten etablieren.
  • effektive Präventionsmassnahmen in ihrem Geschäftsbereich und bei Zulieferern umsetzen.
  • abhilfemassnahmen bei Verstössen ergreifen.
  • ein Beschwerdeverfahren einführen.
  • die Einhaltung der Sorgfaltspflichten dokumentieren und jährlich berichten.

Eine grenzüberschreitende Herausforderung

Das Prinzip „Know Your Supplier“ (KYS) effektiv umzusetzen, stellt eine komplexe Herausforderung dar. Viele Unternehmen suchen aufgrund des globalen Wettbewerbs und der Kosteneffizienz Produktionsstandorte mit niedrigen Kosten. Diese befinden sich häufig in Fernost und das Monitoring der Arbeitsbedingungen vor Ort ist komplexer als in heimischen Produktionsstätten. Schlechte Arbeitsbedingungen bleiben dabei oftmals verborgen, bis sie öffentlich werden und den Ruf des Unternehmens gefährden.

Verantwortungsbewusste Unternehmen müssen die Standards ihrer internationalen Partner kennen und überwachen. Compliance lässt keinen Spielraum für Verhandlungen. Selbst wenn ein Geschäftspartner in Fernost digital aktiv ist, garantiert das nicht immer volle Transparenz. Daher ist die Einhaltung von Arbeitsschutzstandards und deren Überwachung ein zentrales Anliegen im ESG-Management von Unternehmen.

Kann KYS eine Tragödie wie im Rana Plaza verhindern?

Eine definitive Antwort bleibt schwierig. Aber klar ist: Mit mehr Compliance-relevanten Daten von Lieferanten trifft man sicherere Entscheidungen in Bezug auf die Zusammenarbeit. Im Fall Rana Plaza hätte ein effektiver KYS-Prozess die Sicherheitsmängel früh und gründlich aufgedeckt.

Ob dieses Wissen das Unglück verhindert hätte, bleibt ungewiss. In der Theorie würde ein verantwortungsbewusstes Unternehmen von seinen Lieferanten verbesserte Arbeitsbedingungen verlangen. Sollte der Lieferant diese Anforderungen nicht erfüllen, könnte das Unternehmen die Geschäftsbeziehung beenden. Dies hätte den Gebäudebesitzer, der jetzt wegen tausendfachen Mordes vor Gericht steht, möglicherweise zu Handlungen gezwungen – etwa zur Überprüfung der Gebäudestatik.

Geschäftsbeziehungen effizient überwachen

Unternehmen benötigen qualitativ hochwertige und konsistente Daten, um den KYS-Prozess erfolgreich zu gestalten. Zuverlässige Informationen über Geschäftspartner sind unerlässlich, sowohl in Bezug auf ihre Bonität als auch auf ihre gesamte geschäftliche Integrität. Dies schliesst die Einhaltung von Standards und Gesetzen wie dem Lieferketten­sorgfaltspflichtengesetz (LkSG) ein.

Pythagoras Solutions bietet spezialisierte Lösungen zur detaillierten Informationsbeschaffung über Geschäftspartner an. Das Pythagoras Partner Screening ermöglicht Unternehmen, ihre Geschäftsbeziehungen systematisch auf Risiken, die mit Personen oder Organisationen verknüpft sind, zu prüfen und die identifizierten Risiken kontinuierlich zu überwachen. Das System automatisiert den regelmässigen Abgleich mit ausgewählten externen und internen Referenzdaten.

Dies ist insbesondere für Firmen von Vorteil, die internationale Geschäftsbeziehungen pflegen. Neben der erleichterten Informationsbeschaffung ist es ebenso relevant, die Vernetzung eines Geschäftspartners mit lokalen Behörden zu verstehen, um potenzielle Korruptionsrisiken frühzeitig zu identifizieren. Für Geschäftsbeziehungen im asiatischen Raum unterstützt unser integrierbares Native Character Screening auch nicht-lateinische Schriftzeichen.

Fazit

Jede Geschäftsbeziehung birgt Risiken. In unserer vernetzten Welt ist es entscheidend, diese Risiken frühzeitig zu identifizieren und kontinuierlich zu überwachen. Hinzu kommen stetig wachsende Compliance-Anforderungen, wie das LkSG, das auch für einige Schweizer Unternehmen relevant ist.

Pythagoras Solutions unterstützt Unternehmen aktiv bei der Erfüllung der KYS-Standards. Diese Lösungen schützen vor schwerwiegenden Fehlentscheidungen und tragen dazu bei, dass Tragödien wie die des Rana Plaza der Vergangenheit angehören.

 
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