Ein neues Kapitel für globale Nachhaltigkeit: Das deutsche Lieferkettengesetz
Das deutsche Lieferkettengesetz (LkSG) ist ein ehrgeiziger Schritt zur Stärkung des globalen Arbeitnehmer- und Umweltschutzes. Die Verordnung zwingt deutsche Unternehmen dazu, von ihren Zulieferern die Einhaltung der weltweit geltenden Arbeits- und Umweltstandards zu verlangen und ebnet damit den Weg zu einer gerechteren und nachhaltigeren Welt. Während die Niederlande, Frankreich, das Vereinigte Königreich und die USA ähnliche Gesetze erlassen haben, zeichnet sich das LkSG durch seine strengen potenziellen Strafen aus. Ab 2023 stehen Unternehmen mit 3.000 oder mehr Beschäftigten unter der Kontrolle des LkSG, und bis 2024 soll das Gesetz auch Unternehmen mit mehr als 1.000 Beschäftigten erfassen. Es ist jedoch anzumerken, dass viele kleine und mittlere Unternehmen bereits jetzt effektiv vom LkSG betroffen sind, da sie (direkte) Lieferanten sind und daher von ihren Kunden vertraglich zur Einhaltung der Sorgfaltspflichten verpflichtet werden. Unternehmen, die dagegen verstoßen, drohen erhebliche Strafen, darunter hohe Geldbußen und der Ausschluss von öffentlichen Aufträgen.
Trotz dieses soliden Rahmens besteht erhebliche Unklarheit darüber, wie das Bundesamt für Wirtschaft und Ausfuhrkontrolle (BAFA) das Gesetz durchsetzen wird und welche Standards die Unternehmen einhalten sollen. Diese Nervosität der deutschen Industrie wächst angesichts der ersten Ermittlungen, die im April gegen IKEA und Amazon eingeleitet wurden, sowie der jüngsten Beschwerden und Ermittlungen gegen Mercedes, VW und BMW im Juni an Bedeutung. Diese Fälle sind erste Signale für die Ernsthaftigkeit des BAFA bei der Umsetzung des LkSG und markieren eine entscheidende Phase in der Entwicklung des Gesetzes.
Die Rolle des BAFA bei der Umsetzung des LkSG
Das Bundesamt für Wirtschaft und Ausfuhrkontrolle (BAFA) spielt bei der Durchsetzung des LkSG eine entscheidende Rolle und hat die Aufgabe, alle mutmaßlichen Verstöße zu untersuchen. Obwohl es sich um eine etablierte Behörde mit einem breiten Aufgabenbereich in anderen Bereichen handelt, besteht erhebliche Unsicherheit darüber, inwieweit das BAFA das LkSG rigoros durchsetzen wird. Diese Zweifel kommen daher, dass es keine Präzedenzfälle gibt, so dass es für die Unternehmen schwierig ist, die Maßstäbe, an denen sie gemessen werden, und die Sorgfalt, die das BAFA bei seinen Untersuchungen an den Tag legen wird, einzuschätzen. Infolgedessen sind deutsche Unternehmen verunsichert und fragen sich, wie sie die Einhaltung des neuen Gesetzes sicherstellen können.
Die ersten LkSG-Ermittlungen: IKEA und Amazon
Im April 2023 waren IKEA und Amazon die ersten Unternehmen, gegen die nach dem LkSG ermittelt wurde. Das Bundesamt für Wirtschaft und Ausfuhrkontrolle (BAFA) reagierte damit auf Beschwerden von Menschenrechtsorganisationen, die diesen Unternehmen vorwarfen, ihre Sorgfaltspflichten gegenüber Lieferanten in Bangladesch zu vernachlässigen. Im Mittelpunkt der Ermittlungen stehen die angeblichen unzureichenden Arbeitsbedingungen und Umweltverstöße in den Lieferketten.
Die Beschwerden wurden gemeinsam von Femnet, einer Nichtregierungsorganisation für Frauenrechte, dem Europäischen Zentrum für Verfassungs- und Menschenrechte (ECCHR) und der bangladeschischen Bekleidungsgewerkschaft NGWF eingereicht. Grundlage der Beschwerde ist eine gemeinsame Erklärung dieser Organisationen, in der hervorgehoben wird, dass ein Jahrzehnt nach der Rana-Plaza-Katastrophe weiterhin Fabriken in Bangladesch mit unzureichenden Sicherheitskontrollen Textilien für internationale Unternehmen wie Amazon und Ikea produzieren.
Beim Einsturz des Rana-Plaza-Gebäudes, einer Textilfabrik in Bangladesch, starben 2013 1 138 Menschen und mehr als 2 400 Arbeiter wurden verletzt. Die Katastrophe löste einen weltweiten Aufschrei aus und machte auf die gefährlichen Arbeitsbedingungen in der Bekleidungsindustrie des Landes aufmerksam. In den Beschwerden wird behauptet, dass sowohl Amazon als auch Ikea trotz dieser Katastrophe die nach der Rana-Plaza-Katastrophe ausgehandelte Vereinbarung über Gebäude- und Brandschutz und deren Folgevereinbarung, die Bangladesch-Vereinbarung, nicht unterzeichnet haben.
Die Vorwürfe gegen IKEA und Amazon wurden durch eine von der NGWF im März 2023 durchgeführte Untersuchung untermauert. Die Untersuchung deckte Sicherheitsmängel, fehlende Inspektionen und eine eingeschränkte Freiheit für Gewerkschaften in Fabriken auf, die Heimtextilien für Ikea und Kleidung für die Eigenmarke von Amazon herstellen.
Diese Ermittlungen sind noch nicht abgeschlossen, aber ihr Beginn zeigt die Bereitschaft des BAFA, die Lieferketten multinationaler Unternehmen auf die Einhaltung des LkSG zu überprüfen.
Das Netz wird breiter: Ermittlungen gegen Mercedes, VW und BMW
Im Juni 2023 leitete das Bundesamt für Wirtschaft und Ausfuhrkontrolle (BAFA) Ermittlungen gegen Mercedes, VW und BMW ein. Auslöser für diese Untersuchungen waren Beschwerden des European Center for Constitutional and Human Rights (ECCHR), das diesen Automobilherstellern vorwarf, in ihren Lieferketten Zwangsarbeit in der uigurischen Region Xinjiang in China zuzulassen. Die Vorwürfe, ähnlich wie die gegen IKEA und Amazon erhobenen, konzentrieren sich auf die Nichteinhaltung der Arbeits- und Umweltstandards, wie sie im LkSG festgelegt sind.
Ein Bericht der Sheffield Hallam University und der Nichtregierungsorganisation NomoGaia hat kürzlich dokumentiert, dass die gesamte Automobil-Lieferkette in der uigurischen Region potenziell von Zwangsarbeit betroffen ist. Dem Bericht zufolge gehören die drei führenden deutschen Automobilhersteller zu den Unternehmen, die Lieferbeziehungen zu Fabriken unterhalten, bei denen es ernsthafte Hinweise auf Zwangsarbeit gibt.
Volkswagen, das in Xinjiang ein Werk in Partnerschaft mit der chinesischen Firma SAIC betreibt, zeigte sich überrascht über die Beschwerde des ECCHR. Das Unternehmen bereitet eine unabhängige Untersuchung des Werks vor und reagiert damit auf die Bedenken von Investoren und Proteste auf seiner Jahreshauptversammlung. Volkswagen hat wiederholt erklärt, dass das Unternehmen nicht in Menschenrechtsverletzungen verwickelt ist.
Mercedes-Benz erklärte, dass man solche Berichte zwar sehr ernst nehme, aber nicht direkt in der uigurischen Region tätig sei. Das Unternehmen steht in Kontakt mit seinen Lieferanten und fordert sie auf, die Bedenken zu klären. Sollten sich die Vorwürfe als berechtigt und nachweisbar erweisen, hat sich Mercedes-Benz verpflichtet, geeignete Maßnahmen zu ergreifen, um die Standards für eine verantwortungsvolle Beschaffung einzuhalten. BMW hat sich zu diesem Fall noch nicht geäußert.
Diese Untersuchungen befinden sich zwar noch im Anfangsstadium, sie unterstreichen jedoch das unnachgiebige Engagement des BAFA, dafür zu sorgen, dass die Automobilhersteller, wie Unternehmen aller Branchen, die strengen Arbeits- und Umweltvorschriften des LkSG einhalten.
Zukünftige Auswirkungen auf die deutsche Industrie
Die Ermittlungen gegen diese Großunternehmen unterstreichen die Bereitschaft des BAFA, das LkSG umzusetzen und schaffen einen wichtigen Präzedenzfall. Kein Unternehmen, unabhängig von seiner Größe, sollte sich vor einer Überprüfung geschützt fühlen. Da das LkSG im Jahr 2024 seinen Geltungsbereich auf kleinere Unternehmen ausdehnt, deutet die derzeitige Konzentration des BAFA auf größere Unternehmen auf einen Top-Down-Ansatz bei der Durchsetzung hin. Dieser Ansatz wird sich im Laufe der Zeit wahrscheinlich auch auf kleinere Unternehmen ausweiten und eine Welle verstärkter unternehmerischer Verantwortung und einer genaueren Überprüfung der Lieferketten auslösen, die sich auf Unternehmen jeder Größe auswirken wird.
Diese sich verändernde Landschaft wird die Unternehmen zwingen, sich anzupassen, was eine Überarbeitung der Lieferkettenstrategien und Investitionen in Compliance-Mechanismen erforderlich macht. Die konsequente Umsetzung des LkSG stellt auch eine Herausforderung für die Wettbewerbsfähigkeit der deutschen Industrie dar, denn sie erfordert ein sorgfältiges Gleichgewicht zwischen der Aufrechterhaltung verbesserter ethischer Standards und der Gewährleistung der geschäftlichen Effizienz. Allerdings können sich aus diesen Wachstumsschmerzen auch Chancen ergeben. Unternehmen, die sich erfolgreich am Ethos des LkSG orientieren, könnten ihren Ruf erheblich verbessern und sich möglicherweise einen Wettbewerbsvorteil auf Märkten verschaffen, auf denen die Verbraucher Nachhaltigkeit und ethische Geschäftspraktiken zunehmend schätzen. Die ersten Durchsetzungsmaßnahmen gegen prominente Unternehmen wie IKEA, Amazon, Mercedes, VW und BMW sollten allen deutschen Unternehmen als deutlicher Aufruf dienen, ihre Geschäftstätigkeit proaktiv an den Standards des LkSG auszurichten.
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