Der Wirecard-Zusammenbruch war einer der spektakulärsten Firmenzusammenbrüche in der Wirtschaftsgeschichte Deutschlands. Was den Fall so aussergewöhnlich macht, ist der Umstand, dass infolge des Zusammenbruchs nicht nur so renommierte Wirtschaftsprüfer wie Ernst & Young (EY) in die Bredouille gerieten, sondern auch Politiker, die sich in den Jahren zuvor direkt oder indirekt mit dem Shooting-Star der Finanzbranche „geschmückt“ hatten. Bevor hier auf die Versäumnisse der Finanzmarktaufsicht und das Versagen der Wirtschaftsprüfer eingegangen wird, werfen wir einen kurzen Blick auf den einstigen Überflieger.
Wer ist Wirecard?
Das 1999 gegründete deutsche FinTech Wirecard mit Sitz in Aschheim bei München war bis kurz vor seiner Insolvenz der leuchtende Stern der deutschen FinTech-Branche. Als Zahlungsabwickler und Finanzdienstleister war das Unternehmen eine absolute Ausnahmeerscheinung. Sowohl in Deutschland als auch in Europa gab es kaum vergleichbare Player in dieser Branche, die mit den grossen US-amerikanischen Zahlungsverkehrsdienstleister wie zum Beispiel PayPal mithalten konnten. Weltweit expandierte Wirecard auf 26 Standorte mit 5‘800 Mitarbeitern. Eigenen Angaben zufolge wickelte das Unternehmen Zahlungen für mehr als 280‘000 Unternehmen ab. Als Wirecard 2018 mit 27 Milliarden US-Dollar bewertet wurde, war das FinTech-Unternehmen mehr wert als die Deutsche Bank. Im September 2018 Jahres stieg der Münchner Finanzdienstleister schliesslich in den DAX-30-Index auf und löste die Commerzbank ab, die nunmehr im M-Dax gelistet wurde.
Die Anfänge des Wirecard-Skandals
Ende Januar 2019 setzte der Abstieg von Wirecard ein. Ausgelöst wurde dieser durch einen Bericht des Financial Times-Journalisten Dan McCrum über einen leitenden Manager des Unternehmens im asiatisch-pazifischen Raum. Dieser wurde beschuldigt, Konten gefälscht und Geldwäsche betrieben zu haben. Grundlage war eine interne Präsentation von Mai 2018, die von einem besorgten Whistleblower an die Financial Times weitergegeben wurde.
Die Vernachlässigung interner Kontrollen sollte sich für Wirecard als fatal erweisen. Trotz bereits in früheren Jahren geäusserter Bedenken von kritischen Investoren gelang es dem Unternehmen immer wieder, Zweifel zu zerstreuen. Die durchgesickerte Präsentation lieferte detaillierte Informationen zu zweifelhaften Transaktionen im mittleren zweistelligen Millionenbereich. Dazu gehörten beispielweise Rechnungen von Unternehmen wie Flexi Flex aus Singapur, die keinerlei Geschäftsbeziehung zu Wirecard hatten. Ebenso kamen Round-Trip-Transaktionen zum Einsatz, eine betrügerische Buchhaltungstechnik.
Die Liste der fragwürdigen Transaktionen im asiatisch-pazifischen Raum wurde immer länger. Wirecard setzte alle Hebel in Bewegung, um den Umfang seiner Geschäftstätigkeit grösser erscheinen zu lassen. Hierbei verwies das Unternehmen auf angeblich durchgeführte Due Diligence-Prüfungen und das Testat von Ernst & Young (EY), um Bedenken im Keim zu ersticken. Das schnelle Umsatz- und Gewinnwachstum zwischen 2015 und 2018 führte zu einer Vervierfachung des Aktienkurses, was von Investoren bejubelt wurde. Doch hinter den schönen Umsatzzahlen verbarg sich grösstenteils nur heisse Luft.
Der Zusammenbruch von Wirecard
Infolge des Artikels in der Financial Times rutschte der Aktienkurs 2019 um mehr als 13 % ab. Es sollte nur der erste Warnschuss sein. Zum ganz grossen Knall kam es am 18. Juni 2020, als vormittags eine Ad-hoc-Mitteilung über die Börsenticker verteilt wurde. Darin wurde mitgeteilt, dass sich die Veröffentlichung des Jahresabschlusses 2019 wegen Hinweisen auf unrichtige Saldenbestätigungen verschieben wird. An diesem Tag brach der Aktienkurs von Wirecard um bis zu 70 % ein, weil Anleger panikartig ihre Aktien verkauften.
EY weigerte sich, die 2019er-Bilanz zu testieren. Dies setzte Bankkredite in Höhe von rund 2 Mrd. Euro aufs Spiel, die nun drohten, gekündigt zu werden. Die Ad-hoc-Mitteilung bezog sich auf Barmittel von 1,9 Mrd. Euro, von denen nicht sicher war, ob sie überhaupt existierten. Angeblich sollten diese auf asiatischen Treuhandkonten deponiert sein, was sich kurz darauf als Falschinformation herausstellte. An diesem einen Tag wurden 7,6 Mrd. Euro Börsenwert von Wirecard vernichtet.
Als Wirecard am 22. Juni 2020 in einer weiteren Ad-hoc-Mitteilung bekannt gab, dass Guthaben über 1,9 Milliarden Euro mit hoher Wahrscheinlichkeit nicht existierten, brach der Aktienkurs weiter ein. Am selben Tag trat CEO Markus Braun zurück und wurde anschliessend verhaftet. Gegen den am selben Tag fristlos entlassenen und kurz darauf untergetauchten COO Jan Marsalek erging nach drei Tagen ebenfalls ein Haftbefehl. Am 25. Juni 2020 stellte Wirecard schliesslich den Insolvenzantrag.
Versagen von Aufsicht und Leitung
Nicht nur der Aufsichtsrat von Wirecard versagte, sondern auch Deutschlands Bankenaufsicht BaFin. Man machte sich die Sichtweise des Wirecard-Managements zu eigen und sah das Unternehmen als Opfer von Spekulanten, die den Kurs zu drücken versuchten. So erklärt sich, dass die BaFin von Februar bis April 2019 ein Leerverkaufsverbot für Aktien des DAX-Unternehmens erliess. Begründet wurde der Schritt mit dem Argument, dass (u.a. durch die kritische Berichterstattung der Financial Times) die Finanzmarktstabilität und das Marktvertrauen in Deutschland ernsthaft bedroht seien.
Offenkundig ist, dass eine zu grosse Nähe zwischen BaFin-Mitarbeitern und dem Unternehmen Wirecard existierte. So gab es bei der BaFin viel Insiderwissen. Viele Mitarbeiter nutzten dies, um mit Wirecard-Aktien zu handeln. Sie waren somit selbst aktiv in Dinge verstrickt, die sie doch eigentlich beaufsichtigen sollten. Viele bemängeln auch, dass die BaFin bei der Bekämpfung von Finanzkriminalität nicht richtig aufgestellt sei und daher immer wieder versagt.
Politische Unterstützung und Blindheit
Die Politik war durch den kometenhaften Aufstieg von Wirecard geblendet. Deutschland konnte endlich auch ein grosses FinTech-Unternehmen vorweisen, das weltweit in der ersten Liga mitspielen konnte. Für viele war es unvorstellbar, dass ein deutscher DAX-Konzern so dreist sein könnte, Kontenbelege zu fälschen und Milliardenumsätze einfach zu erfinden. Schliesslich setzte sich auch die deutsche Politprominenz aktiv für Wirecard ein. So etwa der ehemalige deutsche Verteidigungsminister Karl-Theodor zu Guttenberg in seiner Rolle als Lobbyist, als er die Kanzlerin Angela Merkel bat, das Unternehmen bei seinem Markteintritt in China zu unterstützen. Ein Thema bei ihren Gesprächen mit der chinesischen Führung war die Öffnung des chinesischen Finanzmarkts für deutsche Unternehmen. Nicht von ungefähr landete Wirecard auf der Liste der Empfehlungen.